Montag, 15. Januar 2018

Weg für immer... Eine Kurzgeschichte



Wir liefen die Straße entlang, die zu dem Kirschbaum führte, auf dem wir schon vor fünfzehn Jahren saßen und dachten, dass uns niemand beim Kirschen klauen beobachtet. Es sind so viele Erinnerungen mit dieser Gegend verbunden. Die Laterne, die schon seit Jahren nur geflackert hat, ist nun endgültig erloschen und von weitem kann ich die Fetzen der alten Decken sehen aus denen wir uns Buden gebaut haben, um uns irgendwo zu Hause zu fühlen. Mein Herz ist schwer  bei dem Gedanken hier mit ihm zu gehen und zu wissen, dass nichts mehr ist wie früher. Er hat sich verändert genauso wie ich. Das Gesicht mit dem frechen Grinsen ist so ernst geworden. Nur noch die wilden fast schon weißen Haare und der offensichtlich nicht absichtliche Riss in der Jeans erinnern mich daran wie ich das innerste seiner Seele geliebt habe. Es ist das gleiche Gefühl wie vor sieben Jahren. Als er heute am Bahnhof stand und mein Zug einfuhr genügte ein Blick in seine Augen und ich war Zuhause. Seine Anwesenheit ist und war der Ort an dem ich atmen kann. Ich erinnere mich an die vielen Abende die wir im Wald, umhüllt von alten Decken, die wir aus dem Keller meiner Eltern geklaut hatten verbracht hatten. Dort zu sitzen war mein Zuhause. 
Unsere Schritte werden immer langsamer und eigentlich haben wir uns nicht viel zu sagen. „Ich habe dich vermisst“, sagt er leise und bleibt mitten auf dem Gehweg stehen. Mein Herz schlägt so stark, dass ich Angst habe er könnte es sehen. „Ich musste gehen“, antworte ich in der Hoffnung nicht erklären zu müssen warum. Doch dann kommt die unausweichliche Frage leise und doch herausgeschossen als ob sie schon ewig darauf wartet gestellt zu werden
 "Warum?"
Wie erkläre ich ihm, dass ER der Grund war? Dass ich es nicht mehr ertragen konnte, nicht zu wissen ob wir jemals mehr als Freunde sein werden. Dass ich es nicht mehr ertragen konnte zu hoffen und zu warten. Dass ich seinen Blick nicht ertragen konnte, weil er mir den Atem nahm, dass ich es nicht mehr ertragen konnte, ihn gehen zu sehen und nicht zu wissen wann ich ihn das nächste Mal wiedersehen werde. Ich konnte es nicht mehr aushalten ihm nachzujagen wie ein Suchtkranker seinem Glückselixier.  
Darum!... musste ich gehen. Ist das Grund genug seine Heimat zu verlassen,  frage ich mich selbst. Alles aufzugeben, was man kennt und liebt?
Mir schießen die Tränen in die Augen und ich schäme mich, dass es mich nach Jahren immer noch belastet. Ich atme tief ein und wieder aus und finde den Mut zu sprechen, ohne eine peinliche Scene zu schaffen. Ich sage es ihm, nehme ich mir vor. Er weiß doch eh dass ich ihn liebe. Ich sage es ihm jetzt. 
Als ich seine Hand nehme, schaut er mich so liebevoll an, dass mir übel wird. Ich atme tief ein, um einen Satz heraus zu bekommen. Auf einmal höre ich nur eine Frauenstimme rufen. Wütend stützt sich eine Frau mit langen schwarzen Haaren aus einem dunkelblauen Auto und unterbricht die Situation als ob sie mich vor der großen Peinlichkeit bewahren will. Doch ich merke schnell, dass sie für mich eine Unbekannte ist, sie schaut mich nicht an, zerrt nur seine Hand aus meiner und ihn mit ins Auto. Sein Blick bleibt an meinem kleben. Ängstlich, fragend und verloren verlieren sich unsere Blicke und ich bleibe mit demselben Gefühl zurück, mit dem ich diese Stadt verlassen habe. 
 Es zerreißt mich, dass es nichts gebracht hat, mich ihm zu entziehen, dass seine pure Anwesenheit nach so vielen Jahren so eine Macht auf mich ausübt. Ich muss beenden was ich angefangen hab. Hab immer noch das Gefühl das ich gerade erst Luft geholt habe um ihm zu sagen wie sehr ich ihn Liebe. Ich kann nicht frei ausatmen. Alles stockt. Ich renne los und weiß nicht genau wohin. Dem Auto hinterher? So sportlich bin ich nun wirklich nicht. Nach Hause? Ich hab hier kein Zu Hause mehr! Ich laufe eine Weile durch die Gegend und komme an die alte Steintreppe die von der abgerissenen Bank übriggeblieben ist. 157 Stufen und oben ein Ausblick der einem den Atmen nimmt. Die Treppe ist immer gut besucht und ein beliebter Treffpunkt der Stadt. Ich schlängle mich zwischen den Menschen durch und versuche meinen Blick unten zuhalten, damit niemand sieht, dass ich geheult habe. Als ich denke ungefähr bei der Hälfte angelangt zu sein schaue ich nach oben um zu sehen wie weit es noch ist. Obwohl ich vor mir selbst weg laufe habe ich das Gefühl oben in Sicherheit zu sein. Ich wische mir schnell die verschmierte Wimperntusche weg und hebe meinen Kopf. 
Ich glaube ich drehe vollkommen durch. Ist ER das? Die gleichen hellblonden Haare leuchten oben auf der Treppe. Mir schießen tausend Gedanken in den Kopf. Vielleicht wartet er auf mich in der Hoffnung , dass wir unser Gespräch fortsetzen können. Wir haben uns oft hier getroffen als die Treppe noch zu der Bank gehörte. Vielleicht hat er gehofft, dass ich hier vorbei komme und ihm sage, wie ich fühle. Während ich versuche die zweite Hälfte schneller hochzulaufen, dreht er sich Freudestrahlend um. Mein Herz schlägt wie verrückt. Die Luft schießt durch meine Lunge ich schaue ihn direkt an und versuche seinen suchenden Blick mit meinem zu treffen. Nur noch ca. 20 Stufen und ich merke, dass er gefunden haben muss wonach er sucht. 
Nein, das ist nicht wahr! Er läuft einige Meter hinunter an mir vorbei. Ich verschwimme mit den Menschenmassen und alles was ich sehe sind zwei liebende  die  sich in den Arm nehmen. Die Frau mit den langen schwarzen Haaren und der Mann, der mein Kryptonit ist. Ich stehe da wie in einem Traum, in den ich nicht hinein gehöre und so fühle ich mich auch. Unsichtbar, verloren, verschwindend.  Sie sind so glücklich, dass alles um sie herum zu verschwimmen scheint. Meine Größte Angst wurde wahr ich stand als Zuschauer dabei, während er seine Liebesgeschichte schrieb. Ich fühlte mich als sollte ich wie beim Happy End im Kinosaal applaudieren und nach Hause gehen. Als würde ich nicht hierher gehören, mich langsam auflösen und aus einem Traum aufwachen. Stattdessen musste ich wie gebannt hinstarren, fühlen wie ich implodiere und jede einzelne Stufe wieder nach unten gehen in dem Wissen, dass ich vor sieben Jahren nicht nur aus der Stadt verschwunden bin, sondern auch aus seinem Leben. Nur mich selbst habe ich mitgenommen und meine Liebe für ihn. Aber dieses Mal lasse ich sie hier und bin WEG FÜR IMMER.